Autorin
Sabine Ibing
Interview mit
Monika Geier
(von Sabine Ibing)
Textauszug aus “Wie könnt ihr schlafen”
“Sie hatte vor, rasch an der alten Dame und dem Grab
vorbeizukommen, doch dann bemerkte sie die Inschrift, die in den
rötlichen Stein eingemeißelt war:
Margarete Holler
Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben
weil sie so viel Liebe gezeigt hat.
Lukas 7,47
Die Zahlen darüber sagten, dass das Mädchen nur sechzehn Jahre
alt geworden war. Bettina blieb stehen und vergaß, was sie eben
noch über die Neugier gedacht hatte. "Wie viele Sünden kann man
denn mit sechzehn begangen haben?", fragte sie den Rücken der
Frau.”
Monika Geier wurde 1970 in Ludwigshafen geboren. Nach dem
Abitur machte sie eine Ausbildung zur Bauzeichnerin, studierte
Architektur. Architektin, Künstlerin in der freien Kunst,
Schriftstellerin, Trägerin der goldenen Wandernadel von
Bayrischzell, eine Lebenskünstlerin. Für ihren ersten Roman »Wie
könnt ihr schlafen« erhielt Monika Geier den MARLOWE - Preis der
Raymond-Chandler-Gesellschaft.
S.I.: Es ärgert dich, dass deine Krimis gern als „der etwas andere
Regiokrimi“ bezeichnet werden, oder? Soviel Regionales ist ja gar
nicht mehr drin. Irgendwo muss die Handlung ja stattfinden. Und
über die Pfalz schreiben nicht so viele Autoren.
M.G.: Lustigerweise hab ich angefangen zu schreiben, bevor es in
der Pfalz den Regiokrimi überhaupt gab. Da hießen meine Bücher
noch „Frauenkrimi“. Das Etikett hat mir zwar viel besser gefallen,
aber in Wahrheit passt beides nicht ganz. Ich verorte meine
Geschichten einfach in der Gegend, in der ich wohne. Das ist für
mich der interessanteste Ort, schließlich lebe ich hier. Aber
irgendwie führt das so schleichend und hintenrum tatsächlich dazu,
dass ich mich mit dem Heimatbegriff auseinandersetze. Es gibt
echt so Szenen, die können nur hier spielen. Die Wälder, die
Menschen … Das ist nicht mein Hauptthema, aber es gehört
definitiv dazu. Insofern kann man vielleicht wirklich sagen, dass ich
„etwas andere Regiokrimis“ schreibe.
S.I.: „Die Hex ist tot“, dein letzter Krimi: Die Polizei muss sich mit
Gullydeckeln herumschlagen, die reihenweise aufgehebelt werden
und eine übergewichtige Frau steckt kopfüber und mit nacktem
Hinterteil in einem Abwasserschacht. Kommissarin Bettina Boll hat
gut zu tun. Kommst da die Architektin zum Vorschein?
M.G.: Weniger die Architektin als vielmehr die Auszubildende für
Tief-, Straßen- und Landschaftsbau, die ich vor hundert Jahren ja
auch mal war. Da musste ich tatsächlich mit Maßband und Messlatte
in Gullys steigen und ausmessen. Es ist unglaublich, was es alles für
Bauwerke unter der Erde gibt, von denen normale Menschen so
gar nichts ahnen. Mannshohe Kanäle, riesige Fettabscheider,
raumgroße Schachtbauwerke, Wasserspeicher, Überlaufbecken,
Sickergruben … In die meisten kann man richtig reingehen, allein
wegen der Wartung. Und das sind dann so twilight zones, seltsame,
dunkle, einsame Räume. Irgendwann hat mir mal ein Polizist bei
einer Lesung gesagt, dass er sich wundert, dass nicht viel mehr
Leichen in diesen Schächten liegen …
S.I.: Eine schlankheitsbesessene Versicherungsagentin kommt vor.
Was hat dich an dem Thema Anorexie bewegt?
M.G.: Eigene Erfahrung.
S.I.: Deine Figuren sind direkt aus dem Leben gewachsen. Deine
Kommissarin Boll ist alleinerziehend, unordentlich, hat hin und
wieder Migräne, sie ist ein Mensch wie du und ich. Gerade das
macht für mich das Lesenswerte aus. Keine Massenmörder, keine
blutige Splatter-Orgien, Polizisten sind keine egozentrischen Alkis in
deinen Krimis. Warum hast du dich entschieden, deine
Protagonisten „normal“ zu beschreiben? Skurrilität ziehen deine
Protagonisten aus der Realität.
M.G.: Also … ich liebe Geschichten, die in exotischen Ländern
spielen, mit spannenden Charakteren, denen wunderliche Dinge
zustoßen … ich mag auch Geheimnisse und Rätsel und wenn’s so
richtig kracht, finde ich das super. Und ich würde das alles gern
ebenso zu Papier bringen, wie ich es lese, ich erfinde ständig die
tollsten Plots, aber beim Schreiben denke ich dann immer: Was
wäre, wenn es hier passieren würde? Und mir? Nicht dem
feinsinnigen Helden, nicht dem fiesen Psychopathen, nicht der
gertenschlanken Blondine und nicht der weisen alten Zauberin?
Sondern einfach den Leuten, die ich kenne? Wäre das nicht viel
aufregender …?
S.I.: Deine Romane sind psychologisch ausgefeilt. Wie transportierst
du Stimmungen und Gefühle?
M.G.: Das ist nicht leicht zu beantworten, weil es zum Teil intuitiv
geschieht. Andererseits ist es auch Handwerk. Das ist wie bei
Schauspielern: Es nutzt nichts, wenn der Mime tief mit seiner Figur
mitfühlt, das aber nicht in Ausdruck umsetzt. Wenn nur die erste
Reihe spürt, was er meint und die anderen Zuschauer auf den
Rängen bloß einen Menschen sehen, der Text aufsagt. Trotzdem
muss man natürlich – auch beim Schreiben – tief mitfühlen, das ist
der intuitive Teil. Und der handwerkliche: Sinneseindrücke
beschreiben. Passende Farben, Gerüche, Bilder finden. Dem Text ein
Tempo geben, dem Text einen Rhythmus und eine Melodie geben,
prägnante wörtliche Rede, und möglichst alles, was in einer
bestimmten Gefühlslage spielt, an einem Stück schreiben, sodass es
rund wird.
S.I.: Erst ein Thema im Kopf oder ergeben sich Themen aus der
Geschichte selbst?
M.G.: Ich habe immer ein Grundmotiv, das sich durchzieht. Aber ich
gerate auch gerne mal ins Plaudern und mäandere dann. Das liebe
ich auch bei anderen: Wenn sie einfach nur erzählen, um der
Geschichten willen.
S.I.: Kennst du beim Schreiben des ersten Satzes das Ende des
Romans? Hast du einen genauen Plan oder entwickelt sich die
Geschichte beim Schreiben?
M.G.: Es ist nicht interessant, wenn eine Geschichte einem genau
festgelegten Plan folgt und spürbar auf ein bestimmtes Ziel
hinarbeitet, ein Soll erfüllt. Das ist nur Arbeit und Pflichterfüllung,
und das fühle ich als Leserin und dann steige ich aus, weil ich nicht
will, dass sich jemand an mir abarbeitet. Geschichtenerzählen ist
was ganz anderes, das ist wie Musik. Natürlich ist auch Musik
manchmal Arbeit, und es macht auch Spaß, auf eine spannende
Pointe hinzufiebern, aber die muss sich aus der Geschichte
ergeben und nicht umgekehrt. - Jetzt isses ja beim Krimi oft so,
dass er sich auf eine ganz bestimmte Lösung zuspitzt, die ich
Autorin nicht ganz aus den Augen verlieren darf. Aber ich würde
jederzeit mein geplantes Ende einer besseren Geschichte opfern.
Hab ich schon mehrfach gemacht. Denn vor allem meine Personen
sind manchmal sperrig und tun nicht, was ich will. Die übernehmen
dann einfach und ändern eigenmächtig am Plot herum …
S.I.: „Was meinst du, was der wiegt?“ – Der erste Satz (der hier aus
„die Hex ist tod). Hat der erste Satz im Buch für dich eine
Bedeutung?
M.G.: Ich glaube, irgendwo gibt es einen Wettbewerb, in dem
jährlich schlechteste erste Sätze prämiert werden. Begonnen hat
diese Konkurrenz mit dem berühmtesten schlechten ersten Satz
aller Zeiten: „Es war eine dunkle, stürmische Nacht.“ Oder so. Ich
kann mich nicht mehr richtig erinnern. Jedenfalls, ja, erste Sätze
sind kniffelig.
S.I.: Hat die erste Seite im Buch für dich eine Bedeutung? Arbeitest
du daran intensiver, als am Rest vom Manuskript? Viele Leser
entscheiden in der Buchhandlung nach dem Einstieg in die erste
Seite, ob sie ein Buch kaufen.
M.G.: Der erste Teil eines Buches hat das spezielle Problem, dass er
mehr überarbeitet wird als alle anderen Teile des Textes, weil er als
erstes da ist und immer wieder mitgelesen und mitgeändert wird.
Das tut diesen ersten Teilen oft nicht gut. Man merkt einfach, ob
alles in einem Rutsch geschrieben ist. Einem Bild sieht man ja auch
an, ob radiert wurde. Aus dem Grund schreibe ich oft den ersten
Teil am Ende noch mal ganz neu. Damit es ein Text wie eine leichte
Skizze ist und nicht wie ein korrektes, aber hundertmal radiertes
Gemälde.
S.I.: In allen deinen Krimis steckt viel Humor. Bist du ein
lebensfroher und humorvoller Mensch?
M.G.: Manchmal gehts mit mir durch, aber sone Alleinunterhalter-
Type bin ich nicht.
S.I.: Gibt es einen Mythos über Schriftsteller, dem du gern
widersprechen würdest?
M.G.: Ich glaube, die sind alle wahr.
S.I.: In welchem anderen Bücher-Genre würdest du dich sich gerne
noch ausprobieren?
M.G.: Ich arbeite grade an einem Kinderbuch über einheimische
Pflanzen. Warum der Klatschmohn klatscht und welche die
allerschönste Blume überhaupt ist und wieso der Borretsch im
Sommer die Rabatte rockt. Ich hab noch keinen Verlag dafür
gefunden, aber ich bleibe dran …
S.I.: Schreibst du im stillen Kämmerlein oder diskutierst du den Stoff
und das Manuskript mit Familie, Freunden oder anderen wichtigen
Personen? Wer darf das fertige Manuskript zuerst lesen?
M.G.: Also Schreiben ist nunmal eine einsame Angelegenheit. Klar
diskutiere ich den Stoff mit Leuten, denen ich vertraue, aber
schreiben muss ich dann selbst. Im Grunde ist das auch eine Art
Dialog – nämlich mit den Leser*innen – aber ein sehr abstrakter und
wahnsinnig verzögerter. Außerdem kriege ich vermutlich niemals
richtig Antwort. Dass jemand anders eine Geschichte schreibt, die
auf meine antwortet, und die ich dann auch tatsächlich zu Lesen
bekomme – ich weiß nicht, ob ich das erwarten kann. Zuerst sehen
darf meine Manuskripte meine wunderbare Lektorin Ulrike Wand.
S.I.: Wenn man einen Protagonisten entwickelt hat, mag man ihn. Ist
es schwierig, die Figur leiden zu lassen?
M.G.: Nein.
S.I.: Gibt es auch ein gutes Buch von Thomas Mann?
M.G.: Die Buddenbrooks!!!!! Dieser gruselige Herr Grünlich …
S.I.: Was sagt es über einen Bundespräsidenten aus, dass sein
Lieblingsbuch »Der kleine Prinz« ist?
M.G.: Immer noch besser als Die Kleine Raupe Nimmersatt.
S.I.: „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es hohl
klingt, ist das allemal im Buch?“, so Georg Christoph Lichtenberg. Wie
sieht für dich die derzeitige Entwicklung des Buchmarkts aus?
M.G.: Ich warte gelassen ab, was passiert. Veränderungen finde ich
spannend, es ist sehr cool, dass wir gerade einen Medienwechsel
weg von Papier und Druckstock durchmachen. Und die sogenannte
Schundliteratur, die es ja schon immer gab, genau wie die
nichtsnützige Jugend – ich kann mich darüber nicht so aufregen, wie
ich vielleicht sollte, weil auch noch der albernste Liebesroman und
die dämlichste Heimat(krimi!)schmonzette irgendwie einen Funken
Glamour haben und das mag ich.
S.I.: Selbstverleger oder Verlagsautor, von Autoren wird heute
erwartet, dass man auf seine Leser zugeht. Schriftsteller/innen
sollte möglichst eine Website besitzen und auf Facebook präsent
sein. Wie trittst du mit deinen Lesern in Kontakt?
M.G.: Hauptsächlich per Buch. Das Werk nachträglich zu erklären ist
nicht so mein Ding.
S.I.: Deine Romane als E-Book verlegst du bei CulturBook und auch
sehr spät. Ich habe mich fast vom Papier entfernt, weil meine
Regale sowieso voll sind, lese zu 98 % E-Books. Die „Hexe“ habe ich
mit Autogramm, das muss dann Papier sein auf der Lesung. Hat
der Verlag Ariadne hier ein wenig den Anschluss an die neue
Leserschaft verpasst?
M.G.: Der Wechsel vom Papier zum Reader ist ja nur ein Teil der
Umbrüche, die zurzeit passieren. Viel spannender sind die neuen
inhaltlichen Strömungen, das vergrößerte Interesse der
Leser*innenschaft an politischen Themen, das tiefe Bedürfnis nach
besseren Deutungen, Fragestellungen und Lösungen. Wenn die
Welt sich ändert – und das tut sie gerade! – dann brauchen die
Menschen neue Geschichten. Wie sehen neue Alltage aus? Wer sind
jetzt die Bösen? Wo gerät die Welt aus den Fugen, wann werden
wieder Frauenrechte untergraben, wie leben die neuen
Underdogs, an welchen Punkten spitzt sich die Spannung so zu, das
es knallt, wo trifft das Flüchtlingsboot auf den
Kreuzfahrtwahnsinn? Das sind die Themen, an denen Ariadne
arbeitet. Mag sein, dass sie die neue Technik eher besonnen
einsetzen, aber ich denke, der große derzeitige Erfolg gibt ihnen
sehr Recht, den Schwerpunkt auf Inhalte zu setzen.
S.I.: Du gehörst zur Gruppe HERLAND. Warum habt ihr Krimi-
Autorinnen diese Gruppe gegründet und was erwartest du dir
davon?
M.G.: Wir Krimi-AutorINNEN Doris Gercke, Merle Kröger, Anne
Goldmann, Anne Kuhlmeyer, Charlotte Otter, Zoe Beck, Christine
Lehmann und ich sowie die Verlegerin Else Laudan und Ariane
Mönche, die ebenfalls bei Ariadne arbeitet, haben diese Gruppe
gegründet, um einen Raum zu errichten, in dem wir Frauen
gemeinsam Strategien entwickeln, um die Gleichberechtigung im
Literaturbetrieb voranzubringen. Obwohl die überwältigende
Mehrheit aller Lesenden Frauen sind, werden die meisten Romane
aus männlicher Sicht geschrieben. Viele transportieren gruselige
Frauenbilder. Autoren bekommen mehr Geld als Autorinnen und
viel mehr Männer bekommen wichtige Preise. Wir wollen, dass sich
das bessert. Und wir wollen Anziehung ausüben auf
Schriftstellerinnen, die spannende realistische Frauenfiguren
schaffen und auf Leser*innen, die was über wirkliche Menschen
lesen möchten, die sich nach Geschichten sehnen, in denen sie sich
wiederfinden, und die nicht zum hundertsten Mal
auseinandergesetzt kriegen wollen, dass es Frauen über einem
bestimmten Gewicht und Alter eigentlich gar nicht gibt und die
dünnen jungen Mädels nur Pointen vorlegen sollen und auch als
Leiche gut auszusehen haben.
Ich glaube, dass es wichtig ist, hier Position zu beziehen und sich
öffentlich zu organisieren und zu äußern. Literatur ist ja schließlich
nicht nur ein Geschäft um Worte in schönen Umschlägen (oder auf
hippen Readern ;-)) oder ein Ort, um Käsekuchenrezepte zu
tauschen. Sie ist vielmehr eine kulturelle Aufgabe. Wir arbeiten an
der Gesellschaft, an den Bildern und Rollen. Das soll auch deutlich
werden, und es soll diejenigen erreichen, die es brauchen und
wollen. Erreichbar sind wir übrigens unter www.herlandnews.com
oder auf facebook in herland.
S.I.: Was gibt es Neues von Monika Geier? Magst du uns darüber
berichten? Und wo kann man dich auf Lesungen antreffen, wie
findet man die Termine?
M.G.: Ich arbeite grade an einem neuen Krimi, der nächstes Jahr
erscheint. Das Projekt habe ich mit einem Polizisten zusammen
begonnen, der lange in der Missbrauchsprävention gearbeitet und
die sogenannte Polizeipuppenbühne bespielt hat. Die
Polizeipuppenbühne tourt in Grundschulen in Rheinland-Pfalz (es
gibt ähnliche Projekte in anderen Bundesländern) und führt vor
Schülern und Eltern ein Stück übers Antatschen und Neinsagen auf.
Danach gibt’s Gesprächsangebote für alle und die Kinder kriegen
gesagt, dass sie sich auch mal an die Lehrerin wenden dürfen,
wenn sie zuhause Ähnliches erleben. Ein sehr spannendes Thema,
und Grundthema in meinem neuen Krimi.
Termine gibt’s auf www.geiers-mor.de oder auf www.argument.de
oder auf facebook oder in der Tagespresse.
S.I.: Ich danke dir für das Gespräch und deine Zeit.
M.G.: Danke auch, waren interessante und gute Fragen!
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