Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Krimis / Thriller
Rezension
Der Teufel im Glas
von Natalie Mesensky
»Anna riss die Geduld. Es fühlte sich an, als ob jemand in ihrem Kopf
mit einem Gummiband schnalzte.«
Ein Krimi mit Wiener Charme. In der Michaelergruft von Wien macht die
Archäologin Anna Grass eine schreckliche Entdeckung. Eigentlich sollte
sie hier Knochen ausheben und umbetten, um Platz für eine Baustelle
zu schaffen. Doch nach der Öffnung der Steinplatte liegt die Leiche
eines Priesters obendrauf, erst kürzlich verstorben. Die merkwürdige
Stellung des Körpers, ein Stein im Mund und die Formung der Hände
lässt auf ein Exorzismusritual schließen. Major Paul Kandler übernimmt
den Fall und zieht Anna als Beraterin hinzu. Kurz darauf stirbt ein
weiterer Priester. Der prominente Wiener Psychiater Kolma mischt sich
ein. Gibt es den Teufel und was ist Aberglauben? Für Kandler ist die
Sache schnell klar. Wiedergänger, ein Gewäsch für ihn. Er weiß wer der
Täter ist, nur muss er es noch beweisen. Sein Kollege Dr. Bauer ist
anderer Meinung.
Teufel und Dämonen. Jeder schleppt in diesem Fall seine eigenen
Geister mit sich herum. Anna ist noch traumatisiert von ihrem letzten
Fall mit Kandler. Sie ist gerade auf dem Weg ihre Ängste zu besiegen,
als sie den Toten findet. Alte Narben brechen auf. Sie ist überfordert.
Kandler ist mit der Vertuscherei der Kirchlichen überlastet und noch
mehr mit dem Aberglauben. Anna wird seitens ihres Schwagers
bedrängt, nicht weiterzuforschen, im Namen der Familie. Doch was ist
Familie, etwa auch die Angeheirateten der Angeheirateten? Überhaupt
Familie, ist man denen gegenüber verpflichtet?
»Du gehörst zur Familie, also benimm dich entsprechend. Wir können
keinen Skandal brauchen.«
Noble Wiener Familien mit hübscher Front, hinter den Türen watet man
durch Dreck. Natalie Mesensky schafft es, feinfühlig ihre Charaktere
dem Leser aufzublättern. Beziehungsgeflechte zwischen Freunden,
Eifersüchtelei, Familienabhängigkeit, jeder gegen jeden und alle
zusammen. Geschickt zeichnet die Autorin verschiedene Frauenbilder
auf, Verhaltensweisen, die es dem Leser an machen Stellen gruseln
lässt.
Die Story an sich ist nicht besser als andere. Die Sprache hat es mir
angetan, Literatur zeichnet sich durch die Sprachmusik aus, Noten
pointiert gesetzt. Beim Lesen hängt ein Wiener Dialekt im Kopf. Die
österreichische Sprache und Grammatik kommen nicht zu kurz, sodass
man sich auf die Gassen von Wien verschlagen fühlt, in Caféhäuser. Es
ist so charmant angelegt, dass man in den Dialekt eintaucht,
gleichwohl sämtliche Vokabeln versteht. Ein Glossar am Ende ist nicht
nötig. Es ist nicht nur das. Es macht Spaß, diese Beschreibungen und
die Tiefe der Ausdruckskraft einzusaugen. Die Autorin ist eine gute
Beobachterin und weiss Details gekonnt einzusetzen.
»Sie müffelte nach Lavendel und feuchtem Loden. Kirschroter
Lippenstift klebte an ihren Zähnen, und die Kopfhaut schimmerte
durch die lila Frisur. Sie plapperte über 15 Themen gleichzeitig in einer
Frequenz, die sein Hirn in bleierne Müdigkeit tauchte. Sie war der
fleischgewordene Tinnitus.«
Natalie Mesensky schreibt nicht einfach einen Krimi. Kunstgerecht
eingesetzte Sprache schafft Atmosphäre, lässt Figuren lebendig
werden. Hintergründiger Humor und eine gute Portion Sarkasmus
würzen das Menü. Wer neben einem Krimi ein Stück gute Literatur
sucht, der sollte an diesem Buch nicht vorbeigehen.
zum Interview mit Natalie Mesensky
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Foto: © Alexander Biedermann