Autorin
Sabine Ibing
Im ersten Band haben wir die Mädchen des Rione von Neapel
kennengelernt, Lila und Elena. Im zweiten Band wird die Jugend
behandelt, das junge Erwachsein, Lila heiratet bereits mit sechzehn einen
reichen Lebensmittelhändler, Elena geht weiter zur Schule und studiert,
eine neidet der anderen das Leben.
Im dritten, vorletzten Band, erleben wir Lila und Elena in den stürmischen
Jahren von 1968 bis 1976. In Italien stehen sich Kommunisten, Kirche und die
sich immer weiter entwickelnde Camorra gegenüber. Arbeiterbewegung,
linke Studentenbewegung und Feminismus, Lila und Elena erleben das
Ganze aus verschiedenen Perspektiven.
Elena, alleinerziehend, arbeitet in einer Wurstfabrik, die
Arbeitsbedingungen sind miserabel, der Lohn ist schlecht. Die
Gewerkschaft rebelliert, Studenten stehen vor der Fabrik, prangern
Arbeitsbedingungen an. Die alten Faschisten haben sich bei der Mafia
organisiert, schicken Schlägertrupps, um Linke zusammenzuschlagen. Lila
hat kein Interesse, sich zu organisieren, sie bezeichnet das Ganze als
»Männerkriege«. Elena kommt zu Besuch nach Neapel, hat Kontakt zu
Linken Intellektuellen, hört Lila zu und bittet sie, ihre Position als Frau in
der Wurstfabrik schriftlich zu fixieren: Schlechte, gesundeitsschädigende
Arbeitsbedingungen, noch schlechtere, sobald man rebelliert oder sich
von den Chefs nicht begrabschen lässt. Der Handzettel wird ein Erfolg.
Elena verfasst nun einen Artikel für eine Zeitung und erhält italienweit
Anerkennung, schert sich aber nicht um die Auswirkung im Rione.
Letztendlich hat sie wieder von Lila geklaut. Lila verachtet die
Feministinnen, wie auch die Linken: Sie schreiben (klugscheißen) über den
Arbeiter und die Frauenrechte, haben aber noch nie in einer Fabrik
gearbeitet, leben nicht als Frau in Arbeiterstrukturen, kommen aus
bürgerlichen Familien, haben keine Vorstellung von dem, was sie reden.
«Sie hatte ein bewegtes Leben, meines stand still.»
Getrennte Wege, Lila bleibt in Neapel verhaftet, ihr einstiger Aufstieg ist
nun ein Rückschritt in die proletarische Klasse. Elena hat durch Studium
und Heirat mit Pietro Airota den Aufstieg in die intellektuelle, bürgerliche
Klasse geschafft, sie hat das Mezzogiorno verlassen, lebt in Florenz, die
Schwiegereltern sind wohlhabend und bekannt in Italien. Immer wieder
kreuzt , Elenas große Liebe, ihr Leben.
»Mein Verlobter sprang auf, umarmte mich. Von Nino hatte ich ihm nie
erzählt. Über Antonio hatte ich einige, wenige, Worte verloren, und auch
über meine Beziehung mit Franco, die in den Studentenkreisen von Pisa
ohnehin allseits bekannt gewesen war, hatte ich mit Pietro gesprochen.
Doch Nino hatte ich nie erwähnt. Diese Geschichte tat mir weh, enthielt
peinliche Momente, für die ich mich schämte. Sie zu erzählen hätte
bedeutet, einzugestehen, dass ich seit jeher einen Menschen liebte, wie
ich Pietro nie lieben würde.«
Man erwartet ein zweites Buch von Elena, doch sie bekommt keine Zeile
aufs Blatt. Sie entschuldigt sich mit der Mutterschaft. Elena steht unter
innerem und äußerem Druck. Sie fühlt sich unwohl als Hausfrau, zumal ihr
Ehemann ihren Roman nie als intellektuelle Leistung respektiert hat. In
den UNI’s fühlt sie sich ausgeschlossen, auch nicht den feministischen
Gruppen zugehörig, die ihr zu radikal sind, wie auch die gesamte Linke. Sie
liest feministische Literatur und stellt ernüchternd fest: »Die Kultur ist
männlich.« Pietro hat Schwierigkeit an der UNI, anerkannt zu werden, man
wirft ihm vor (im Streit auch Elena), die Professorenstelle in Altphilologie
nicht a.G. seiner Leitung erhalten zu haben, sondern nur, weil sein Vater
ihm dazu verholfen hat. Pietro ist konservativ, genauso ist sein Verhalten
zu Frauen, abwertend, gefühlskalt. Elena ist wieder schwanger, etwas
was ihr nicht in ihre Lebensplanung passt.
»›Schreib über Gigliola oder sonst wen. Aber nicht über mich, wag es ja
nicht, versprich es mir. .... Ich komme und durchforste deinen Computer,
ich lese deine Dateien und lösche sie.‹ – ›Ich weiß, dass du das kannst.
Aber ich weiß mich zu schützen.‹ Sie lachte auf ihre alte, boshafte Art.
›Nicht vor mir.‹ Diese drei Worte habe ich nicht mehr vergessen, es war
das Letzte, was sie zu mir gesagt hat: Nicht vor mir. Seit Wochen schreibe
ich nun schon fieberhaft, ohne Zeit damit zu verlieren, meine Sätze
erneut durchzulesen.«
Doch endlich schafft Elena es, eine Erzählung zu schreiben. Ihre
Schwiegermutter und ihr Mann lesen das Manuskript, finden es schlecht,
ebenso Lila, auf deren Meinung Elena Wert legt. So landet das Manuskript
im Schrank. Elena hat zwar den sozialen Aufstieg geschafft, aber sie ist
bedeutungslos. Eines Tages tritt wieder Nino in ihr Leben. Damals liebte
sie Nino, aber Lila hatte ihn ihr weggenommen, mit ihm ein Kind
bekommen. Und da war noch eine Frau, die Elena kennt, sitzengelassen
mit einem Kind von Nino. Wie viel mag es noch geben? Nino, jetzt
verheiratet mit einer reichen, hübschen und jungen Frau, sie haben ein
gemeinsames Kind. Nino ist immer noch Elenas große Liebe. Alles was mit
Nino zusammenhängt, muss scheitern, sagt Elenas Verstand.
Am Ende des dritten Bandes ist Elena stehengeblieben, unzufrieden. Mit
dem Gehalt des Ehemanns kann man leben, aber keine weiten Sprünge
machen. Lila hat durch Fernstudium des Programmierens sich aus der
Wurstfabrik herausgearbeitet, sich in einer Computerfirma durch
Leistung hervorgetan. Sie und ihr Lebenspartner verdienen dort ein
anständiges Gehalt. Michele Solara, der widerliche Camorrista, macht Lila
zur Leiterin seines Computer-Lochkartenzentrums im Rione (das er nur
für sie aufmacht, um sie zu ködern), sie verdient ein hohes Gehalt. Elena
ist entsetzt, wie sich Lila in die Hände des Mannes begibt, der den
gesamten Rione beherrscht. Lila hat sich untergeordnet, hat am eigenen
Leib erfahren, dass einzelne Kämpfer keine Chance haben. Strukturelle
Gewalt durch die Patrone, die Schlägertrupps der Camorra,
Vergewaltigungen, Todesschüsse, zu viele Tote. Brutalität beherrscht den
Rione, dem man sich nur entgegenstellt, wenn man lebensmüde ist. Lila
stellt fest, dass »alles Schwindel ist«: die Kultur, die Gewerkschaft, der
Kommunismus und der Feminismus, nur Geld regiert die Welt. Michele liebt
Lila, sie hasst ihn. Es hat den Anschein, er hätte sie am Ende doch
bekommen, gekauft, zumindest ihre Arbeitskraft. Letztendlich kann Lila
Michele um den Finger wickeln. Wir werden sehen, was sie im nächsten
Band daraus macht.
»Ich ertrug die Leere nicht, die dadurch entstand, dass sie sich mir
entzog.«
Lila geht ihren eigenen Weg, sie braucht Elena nicht. Diese wiederum
braucht Lila, um sich zu inspirieren und ihren eigenen Weg auszuloten,
sich zu messen. Letztendlich bleibt Eifersucht zurück, denn Lila schafft es
immer wieder, sich aus der Schlinge zu ziehen, sich aus eigenen Kräften
nach oben zu arbeiten, ein erfülltes Leben zu haben, erfüllte Ziele. Elena
arbeitete hart für ihre Bildung, lernte, bestand Prüfungen. Doch wer ist
sie? Sie hat einen Roman geschrieben, aus der Inspiration von Lilas
Aufzeichnungen, einen Zeitungsartikel, inspiriert durch Lilas Pamphlet. Sie
ist die bekannte Schriftstellerin Elena Airota, die nur einen Roman
zustande bekam, die Frau von Professore Airota, eine Hausfrau. Man
zieht den Hut vor ihr, nur wie lange noch? Lila lebt in einer
kameradschaftlichen Beziehung, gleichwertig, mit einem Mann, der sie
achtet, bewundert, liebt, hat einen achtbaren Job, verdient viel Geld.
Elena lebt an der Seite eines mürrischen Mannes, der sie als Beiwerk
betrachtet, mit dem sie sich nichts zu sagen hat, den sie nicht liebt, von
seiner Liebe ist auch nicht viel übrig geblieben, sie ist unbedeutend. Ein
Wechselspiel zwischen beiden Frauen ein auf und ab.
Der Roman beschreibt die gesellschaftliche Entwicklung Italiens auf der
Arbeiterseite, auf der intellektuellen Seite, bürgerlich und kommunistisch,
die Emanzipationsbewegung der Frauen. Die Verquickung des
Mezzogiorno mit der Mafia und die Straßenkämpfe um die Macht der
Gewerkschaften sind auch hier fein herausgearbeitet, genauso wie die
brutale Entwicklung von mafiösen Strukturen und deren Ausweitung.
Katholische Strukturen des Südens versus intellektueller Freizügigkeit und
Atheismus des Nordens, Frauen, die sich Rechte erkämpfen, trotzdem in
den Strukturen verfangen sind, sind ein weiteres Thema. Insofern ist
auch der dritte Teil der Saga ein Portrait der italienischen Gesellschaft des
letzten Jahrhunderts. Die Geschichte von Lila und Elena konnte mich auch
dieses Mal fesseln. Doch gemessen an Band eins und zwei fehlt die
Intensität der Vorgänger, die Spannung, die aus der Rivalität der Frauen
entspringt. Insgesamt ein wunderbarer Roman, und leider müssen wir bis
zum letzten Teil warten …
Teil 1 + 2:
Meine geniale Freundin von Elena Ferrante
Die Geschichte eines neuen Namens von Elena Ferrante
zeitgenössische Romane
Krims und Thriller
Historische Romane
Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien
Sachbücher (für jedermann)
Kinder- und Jugendliteratur
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Die Geschichte der getrennten
Wege
Band 3 der Neapolitanischen Saga
(Erwachsenenjahre)
von Elena Ferrante
Gesprochen von Eva Mattes ungekürztes
Hörbuch
Spieldauer: 15 Std. 07 Min.