Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Rotweißblau waren nicht ihre Farben. Morayo
Humphries war schwarz.«
Wir befinden uns in der Zukunft, ein paar Jahre voraus, der Brexit
ist Normalität. Leigh, ein Restaurantbesitzer ist es leid, an die Mafia
Schutzgeld zu zahlen. Die Einnahmen im Restaurant sinken, der
Kassierer namens Gonzo verlangt immer höhere Beträge. Leigh will
nur mit ihm reden, die Rate senken. Alles geht schief ... keine
Absicht. Doch nun gilt es, die Leiche von Gonzo verschwinden zu
lassen.
»... die sich dahin verpissen sollen, woher sie gekommen sind.«
Die Nationalisten, die »Rotweißblauen«, sind in der Mehrheit,
zumindest verbal und in Präsenz, Rassismus steht auf der
Tagesordnung. Großbritannien geht es wirtschaftlich schlecht, im
sozialen Bereich wird an allen Ecken gekürzt. Das Drogengeschäft
floriert. Gonzo ist verschwunden. Seinem Chef, dem Drogen- und
Mafiaboss Boyd ist klar, wer Gonzo entführt hat: die Drogen-
Konkurrenz. Er will Rache. Nun verselbstständigt sich der Stein, der
ins Rollen geraten war ... Will jemand dem Boyd-Clan ins Geschäft
pfuschen? Zusätzlich macht die Lieferantin dem Boyd-Clan Sorgen.
Ihr Marktanteil steigt. Doch wer ist diese Frau? Sie verkauft ihre
kleinen Päckchen nicht auf der Straße wie sie.
Morayo Humphries, genannt Mo, ist gebildet, sie hat Privatschulen
besucht, hat einen Studienabschluss, aber sie ist farbig, einer von
denen, die dorthin gehen solle, wo herkommen ... So verdient sie
sich ihr Geld mit Drogen. Dazu muss sie nicht auf die Straße gehen.
Sie liefert über Bestellungen aus dem Darknet per Drohne. Mo
gehört zu einem Dealerring, den Ellie Johnson aufgebaut hat. Ihr
Bruder ist an gestreckten Drogen verreckt. Darum gibt es bei ihr
nur hochwertige Ware, ungestreckt, mit genauer
Gebrauchsanweisung. Ihre Dealer kennen sie nicht. Ellie stellt die
Drohnen und den Stoff zu Verfügung, wählt sich ihre Dealer genau
aus. Die Drohnen sind hoch technisiert, lenkbar mit Kamerasystem
ausgestattet. Elli ist aber keine Frau, die sich an Drogen bereichern
will, sie setzt ihren Gewinn für die »Anti-Druxit-Kampagne« ein. Die
Regierung hat ein neues Referendum geplant, der Besitz von
Drogen soll absolut unter Strafe gestellt werden, sämtliche
Therapiemöglichkeiten, ärztliche Betreuung und alles, was damit
zusammenhängt, soll aus dem Staatshaushalt gestrichen werden.
Alles läuft rund, bis der Boyd-Clan eine von Ellies Drohnen abfängt.
Zoë Beck hat in dieses Szenario brisante Gedankengänge
hineingepackt. Die Geschichte wird multiperspektiv erzählt, es gibt
eine Reihe von Protagonisten, alle grob gezeichnet, schlüssig. Die
Erzählhaltung ist sehr distanziert. Das ist gut gewählt, denn alle
Handelnden haben im Grunde persönlich nichts miteinander zu tun.
Die Figuren sind hier nicht wichtig, sondern das Drumherum. Neben
einer guten Portion Humor hat die Autorin eine düstere Zukunft für
Little Britain aufgezeigt. Die Schotten haben sich abgetrennt,
gehören zur EU, London-City wird durch Chinesen und Russen
aufgekauft, die Immobilienpreise steigen. Einkommen sinken, Armut
macht sich breit, was wieder Kürzungen der sozialen Bereiche nach
sich zieht, radikaler Nationalismus, Fremdenhass, Ausgrenzung von
Minderheiten, Kriminalität lohnt sich wieder.
Die möglichen Auswirkungen des Brexits sind sehr glaubhaft
dargestellt – leider. Ich hoffe, dass Zoë Beck nicht Recht behält.
Durch Elli und die »Anti-Druxit-Kampagne« nimmt die Autorin ein
anderes Thema auf: die Legalisierung von Drogen. Weniger
Kriminalität, weniger Kranke und Tote, so das Argument. Die
baseballschwingenden »Rotweißblauen« erinnern an die prügelnden
Nationalsozialisten des 3. Reichs. Bei der Lektüre läuft ein Schauern
über den Rücken. Auch technisch hat sich die Autorin interessante
Gedanken gemacht. Drogenlieferung per Drohne, vielleicht wird es
schon praktiziert? Über das Darknet bestellt, per Briefpost geliefert,
das ist heute schon gängige Praxis. Die Geschäftsabwicklung scheint
zunächst völlig anonym zu laufen, zumindest glauben die Kunden
das. Doch Elli hat es faustdick hinter den Ohren. Big sister is
watching you ...
Ein gesellschaftskritischer Thriller der feinen Art. Verschiedene
Aspekte einer Zukunft nach den Brexit wird ausgelotet,
konservative, rechtslastige Formierungen sind auf dem Vormarsch,
technische Möglichkeiten der Bespitzelung lassen sich wunderbar
geschäftlich verwenden, KI auf dem Vormarsch, freier Verkauf von
Drogen. Armut, Fremdenhass, Ausgrenzung niemand gönnt dem
anderen die Butter auf dem Brot. Das alles passt zusammen in
einem exakt ausgeloteten Plot. Ich habe schon ein paarmal gehört,
das sei doch gar kein Thriller! Aber selbstverständlich ist das ein
Thriller! Thriller bedeutet nicht, im Affentempo durch das Buch zu
hetzen, zu meucheln, zu schockieren ... Was man unter man
schockieren versteht, ist ein persönliches Gefühl. Hackebeilchen z. B.
schockieren mich nicht, doch aber ein solches Szenario, wie in
diesem Thriller beschrieben. Ein Krimi braucht einen Ermittler, der
ein bereits geschehenes Verbrechen aufklärt. Ein Thriller
beschreibt ein bedrohliches Szenario, das über der ganzen Story
schwebt, der Thriller fragt, was kommen wird, bzw. sind wir noch zu
retten? Dieser Thriller ist politisch aktuell, er stellt Fragen, zeigt auf,
was auf uns zukommen könnte. Die Aussicht ist ein wenig finster.
Aber wir haben es jetzt in der Hand, nicht in dieses Messer zu
laufen!
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