Autorin
Sabine Ibing
»Der Mann hielt einen stumpfen Spiegel in der Hand und trug ein
Damenkorsett über einem weißen Nachthemd. Er stand auf einer zwei
Meter hohen Bühne. Die Frauen neben ihm hatten einen angemalten
Bart und ihr wirres graues Haar unter einen verrosteten
Gardistenhelm gestopft.«
1805, Polizeichef von Brest, Louis Marais, hierher strafversetzt, wird
von Polizeiminister Joseph Fouché nach Paris zurückbeordert, wieder
als Commissaire eingesetzt. Eine Frau wurde grausam ermordet. Der
Polizeipathologe stellt fest, ihr Kopf wurde fachgerecht mit
Spezialwerkzeug abgetrennt, was darauf schließen lässt, dass der
Mörder ein Arzt oder ähnlichen Berufs haben muss. Die junge Frau
hatte kurz vor ihrem Tod entbunden. In den geheimen
Hinterlassenschaften des ehemaligen Polizeipathologen, der nun im
Irrenhaus sitzt, finden sich Aufzeichnungen zu weiteren ähnlichen
Morden, die aber der Polizei nicht bekannt sind. Was hat das zu
bedeuten? Wer vertuscht hier was? Steckt ein Geheimbund hinter den
Morden?
»Du brauchst ein Monster, um ein anderes Monster zu fangen.«
Und nun muss Marais auch noch mit einem verhassten Perversen
zusammenarbeiten, der ihm als Berater zur Seite gestellt wird:
Marquis de Sade, alt, fett, verbraucht. Der wiederum auch nicht gut
auf den katholischen Louis Marais zu sprechen ist. De Sade ist der
Meinung, die besten Informationen würde man in den eleganten
Bordellen erhalten. Das ungleiche Team ermittelt mit Intelligenz und
die beiden ergänzen sich hervorragend.
»Monsieur le Ministre benutzte offensichtlich Marais, um sich seines
Erzfeindes Talleyrand zu entledigen. Doch Talleyrand war nach dem
Kaiser der mächtigste Mann des Reiches.«
Marais und de Sade werden gesucht, müssen sich verstecken, sind
scheinbar das Opfer einer politischen Intrige. Eine schützende Hand
schwebt immer über ihnen, nur wem können sie trauen?
»Wir sind verloren, Marais! Isabelle de la Tour ist nur eine kleine,
dumme Nutte. ... Jeder Polizeiagent in Paris sucht zweifellos
inzwischen nach uns.«
Im Gegensatz zu »Sakrileg« wird hier glücklicherweise ein
glaubwürdiger Plot entworfen. Der Autor ist Meister des Kopfkinos,
Gerüche und Bilder tauchen auf, lassen das stinkende Paris
erscheinen, die Pathologie, bunte Bordelle, gutes Essen. Der Zwiespalt
zwischen moderner Wissenschaft, Aufklärung und im Gegensatz
Feudalismus, Aberglaube, Glaube, Aufbruch in neue Zeiten der
Moderne steht im krassen Gegensatz. Marais und der Aufklärer de
Sade stehen im Gegensatz, wobei der gläubige und abergläubige
Marais doch mit beiden Füßen auf der Erde steht und sich gern der
Wissenschaft bedient.
Ich hatte Ulf Torreck bei dem Randomhouse Blogtalk auf der
Buchmesse in Leipzig zugeteilt bekommen, ein nettes Gespräch
übrigens. Er erzählte mir etwas über seinen historischen Krimi, zu dem
er einige Jahre recherchiert hat. Und das hat er sauber umgesetzt.
Das Paris der napoleonischen Zeit kommt gut herüber. Louis Marais
und Marquis de Sade ermitteln im Team Stück für Stück die
Zusammenhänge der Frauenmorde, ein typischer Krimi, der an
manchen Stellen breit gezogen ist. Es kommen zwar eine Menge
Leichen vor, aber es wird ordentlich medizinisch-kriminalistisch
berichtet und nicht vom Täter blutig herumgeschnitzelt, was mir gut
gefallen hat. Auf dem Buchdeckel hat der Verlag den Roman als
Thriller betitelt. Das halte ich für einen Fehler, weil damit beim Käufer
ein falscher Eindruck erweckt wird, der Krimileser eventuell
abgeschreckt wird, der Thrillerleser enttäuscht. Es ist auch vom
mystischen Gothic die Rede. Das kann man gerade noch durchgehen
lassen. Ulf Torreck absolvierte nach dem Abbruch eines Jurastudiums
eine Ausbildung zum Drehbuchautor und Script Doctor. Längere
Auslandsaufenthalte in Frankreich, Irland, Großbritannien und Nepal
animierten ihn zu seinen Büchern. Denn der Autor begann als
Selfpublisher und brachte beim Pendragon Verlag mehrere Bücher
unter dem Pseudonym David Gray heraus, ist sicher manchem Leser
unter diesem Namen bekannt, auch wenn Ulf Torreck hier seinen
Debütroman präsentiert.
Interessant an dieser Geschichte ist die Vermischung von Fiktion und
Wahrheit. Viele handelnde Personen sind echt. Joseph Fouché war
Polizeiminister und Charles-Maurice de Talleyrand-Perigord,
ehemaliger Bischof von Autum, Mitglied der Nationalversammlung,
setzte sich für die Verstaatlichung der Kirchengüter ein. Er ist einer
der bekanntesten französischen Staatsmänner, Diplomat während
der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und beim
Wiener Kongress. Seine Feindschaft zu Fouché ist legendär. Donatien
Alphonse François, Marquis de Sade verbrachte häppchenweise 29
Jahre in Kerkern und Irrenhäusern, zumeist ohne ordentliches
Gerichtsurteil und selbstverständlich ohne Anerkenntnis seiner
Schuld. Er führte einen ausschweifenden, ruinösen Lebenswandel,
verprasste innerhalb kurzer Zeit sein gesamtes großes Erbe in
Spielsalons und gab Unsummen für Mätressen aus. Gerichtsurteile auf
Grund liederlichen Lebenswandels, abscheulichen Gottlosigkeit
brachten ihn in den Kerker. Wegen seiner sadistischen,
pornografischen Schriften wurde er immer wieder angeklagt,
bekannt »Die 120 Tage Sodom« (umstrittene Verfilmung von Pier Paolo
Pasolini).
Auch Polizeiinspektor Louis Marais gab es wirklich, ihm oblag die
Aufgabe, das Liebesleben adligen Müßiggänger zu observieren, die
sich gern »Libertins« nannten, was man je nach Blickwinkel, mit
Freigeist oder Lüstling übersetzen konnte. Marais Dossiers waren bei
Hofe, als Unterhaltungslektüre, sehr geschätzt, Marquis de Sade hatte
er scharf im Visier. Insofern decken sich geschichtliche Daten und
Gegebenheiten mit der fiktiven Geschichte und gibt beim Lesen das
Gefühl, sich im alten Paris zu befinden. Es tauchen noch eine Menge
bekannter Persönlichkeiten auf.
Am Ende des Romans werden alle Protagonisten zusammenfassend
bis in die letzte Nebenfigur vorgestellt (Das alles hatte man bereits
gelesen.). Dafür hätte ich mir lieber gewünscht, nur die historisch
bekannten Personen kurz zu beschreiben, Geburtsdaten und kurzen
echten Lebenslauf. Der historische Leser mag Fakten, lieber Heyne-
Verlag.
Zum Interview mit Ulf Torreck
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von Ulf Torreck