Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Die Fäden verlaufen nicht mehr nur unter dem Wald und
den Feldern. Sie haben den Stadtrand erreicht. Ihre dünnsten Spitzen
tasten schon in den Leib der Metropole.«
Doris Amseln präsentiert hier einen Band mit 16 Kurzgeschichten. Und habe
sie gleich nochmal von vorn gelesen, ein Buch, das ich noch öfter zur
Hand nehmen werde. Kurzgeschichten aus dem Leben, Momente, die das
Leben verändern. Eine Erinnerung, eine Begegnung, ein
sekundenschnelles Erlebnis und alles ist anders. Ist dieses Leben, so wie
ich es führe richtig oder falsch? Ein Gedankenblitz und jemand lässt alles
stehen, eine Begegnung, die alles, Illusionen die sich auflösen.
Eine Familie, zieht aufs Land, schon wegen der Kinder, alles ist sauberer,
ungefährlicher. Sind alle mit diesem Leben zufrieden? Die Kinder können
endlich draußen spielen. Der Junge kommt nicht nach Hause, er liegt im
Wald. Ende.
»Einen Sohn zeugen, ein Haus bauen … oder immerhin kaufen. Einen
Baum brauchte er nicht zu pflanzen, Bäume gab es hier genug. Zu viele.«
Viele Begebenheiten bleiben im Raum hängen. Der Leser ist gezwungen,
sich eigene Gedanken zu machen. Nein, hier ist nicht alles Friede, Freude,
Eierkuchen. Und ja, der Junge überlebt. Aufatmen. Wir begegnen ihm ein
paar Geschichten später wieder, er ist in der Zwischenzeit erwachsen
geworden. Aber genau diese Situation damals hat etwas aus ihm gemacht.
»Die erbarmungslose Hälfte meiner Gedanken beobachtet mich von den
Neonröhren an der Decke aus und stellt fest: Jetzt ist es gelaufen. Mein
Gesicht brennt.«
Kurze Momente, sich einfach etwas trauen, endlich etwas über Bord
werfen, einen anderen Menschen benutzen, ein kurzer Moment der dir
Glück oder Unglück schenkt oder Erleuchtung. Nach dem man ein paar
Geschichten gelesen hat, fällt auf, dass diese oder jene Figur
wiederauftaucht, oft in einer Konstellation einer Person aus einer
anderen Geschichte. Lebenssausschnitte, die offenbleiben, aber den
Leser befriedigt zurücklassen. Wer weiß schon, wie das Leben
weitergeht?
»Und da erkenne ich sie auf den Fotos. Ihren rechtschaffenen Mund. …
Sie fuhr mit dem Finger einen Dachfirst entlang, und ich entdeckte, dass
die Linie ihres Mundes genauso war wie dieser Dachfirst, den tüchtige
Laien nach bestem Gewissen errichtet hatten: schief auf eine
rechtschaffene Art.«
Marksteine, die das eigene Leben auf den Punkt bringen. Die Frau, die
vermeidlich glücklich ist, die wunderschöne Häuser von Leuten hütet, die
sich auf Reisen befinden, im Luxus wohnt. Eine Mail. Das Mädchen von
damals, nie wieder etwas von ihr gehört, Erinnerungen kommen herauf.
Fotos von heute, Glück. Mir geht es gut. Die junge Frau steckt den Stöpsel
in Badewanne und Waschbecken, dreht die Hähne auf, nimmt ihren Koffer
und geht. Es wird Tage dauern, bis jemand das Haus betritt.
»Der Satz sieht aus wie etwas, das mir aus der Hand gefallen ist und das
ich nicht aufhebe, weil ich zu müde bin. Es ist fast dunkel draußen. Mein
Bild auf der Fensterscheibe hat einen Gelbstich, der Raum hängt mir
düster um die Schultern.«
Die Sprache von Doris Amselm ist poetisch, methapherhaft. Metaphern
sind für mich Diamanten der Sprache, nicht jeder beherrscht sie. Bei den
meisten Autoren klingen sie wie Bomben. Doris Amselm beherrscht die
Kunst meisterhaft. Manche Sätze sind im Stakkato geschrieben, klingen
wohlformuliert als Elixier der Sprache. Auch diese Kunst beherrscht sie,
bei anderen klingt es abgehackt, nach Aufzählung. Ich möchte gern mehr
von dieser Schriftstellerin lesen!
»Während in unserem Garten Heidekraut raschelte, saugten dort unten
Dotterblumen am fetten Moos, das bis an die Hauswände reichte. Im Teich
kämpften große Goldfische um Luft.«
Hier zum Interview mit Doris Anselm
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