Autorin
Sabine Ibing
Ein Roman, zwei Autorinnen. Ein Konzept, das wir von
Schriftstellerpaaren kennen, auch von Autoren, die
hauptberuflich im Segment des Drehbuchschreibens tätig sind.
Wie funktioniert gemeinsames Schreiben? Zwei Schweizer
Krimiautorinnen haben mit vereinten Kräften einen Thriller
kreiert, ihre Stäken in einen Topf geworfen. Wie arbeiten zwei
zusammen, die es gewohnt sind, im einsamen Kämmerchen allein
zu arbeiten, zwei starke Frauen, die völlig unterschiedlich an das
Entwickeln ihrer Plots herangehen? Zwei Frauen, zwei
Arbeitsweisen, Mitra, die Detailplanerin, schnelle Aktion-Krimis, Petra,
die Bauchschreiberin, die Recherche und Thema im Focus hat, den
Plot langsam angeht. Petra Ivanov erzählte bei einer Lesung, sie
könne nur ein Zimmer beschreiben, das sie schon einmal gesehen
hat. Mitra Devi kann sich eins ausdenken. Kann das gut gehen? Es
hat funktioniert, ein spannender Thriller ist entstanden.
Mitra Devi, geboren 1963, wuchs in Zürich auf, absolvierte die
Schule für Kunst und Mediendesign und arbeitet als freie
Künstlerin, Filmemacherin und Journalistin. 2001 erschienen ihre
ersten Kurzgeschichten. Inzwischen ist sie Autorin von über
einem Dutzend Büchern, darunter schwarzhumorige Short
Stories und die Krimireihe rund um die Ermittlerin Nora Tabani.
2012 hat sie den Zürcher Krimipreis erhalten.
Petra Ivanov verbrachte ihre Kindheit in New York. Nach ihrer
Rückkehr in die Schweiz absolvierte sie die Dolmetscherschule
und arbeitete als Übersetzerin, Sprachlehrerin und Journalistin.
Heute ist sie als Autorin tätig und gibt Schreibkurse an Schulen
und anderen Institutionen. Ihr Debütroman »Fremde Hände«
erschien 2005. Ihr Werk umfasst Kriminalromane, Jugendbücher
und Kurzgeschichten. Petra Ivanov hat zahlreiche
Auszeichnungen erhalten, u. a. den Zürcher Krimipreis (2010).
Beide Schriftstellerinnen verlegen im Unionsverlag und
schreiben im Krimigenre. Und nun haben sie sich an ein
gemeinsames Projekt gewagt, zusammen einen Thriller
geschrieben: Schockfrost.
Petra Ivanov und Mitra Devi
S. I.: Wer von euch beiden hatte die Idee und wie kam die Idee
zustande, Petra?
P. I.: Sie ist nach und nach gewachsen. Wir haben damit
begonnen, unsere Figuren auszutauschen, irgendwann haben
wir uns gefragt, wie es wäre, gemeinsam an einer Geschichte zu
schreiben.
S. I.: Ihr beide sagt, jede von euch hätte ihre Stärken und
Schwächen und ihr wolltet in diesem Thriller eure Stärken
bündeln. Mitra, welche Stärken hat Petra, die ihr für den Plot
nutzen konntet und Petra, welche Stärken hat Mitra?
M. D.: Petra hat großes Vertrauen in ihre Figuren. Sie lässt
ihnen viel Freiheit, sich zu entfalten und zu zeigen und folgt
ihren Wegen, ohne sie in ein enges Korsett zu stecken. Das
finde ich bewundernswert.
P. I.: Bei Mitra reißt der Spannungsbogen nie ab, ihre
Geschichten packen von der ersten Seite an. Ich finde es toll,
wie sie gleich zur Sache kommt.
S. I.: Wer von euch hatte die Grundidee der Story und habt ihr
den Plot gemeinsam entwickelt? Erst die Geschichte oder erst
die Figuren?
M. D.: Die Grundidee entstand zusammen. Sie entwickelte sich
in etlichen Gesprächen, nahm immer mehr Form an. Ich bin
handlungsbezogener, Petra ist figurenbezogener, so
ergänzten wir uns beim Finden der Story. Wichtig war, dass wir
eine tragende Hauptfigur hatten. Diese hatten wir von Anfang
an vor Augen. Die Nebenfiguren entstanden später.
P. I.: Wir haben dabei auch unsere Vorlieben berücksichtigt. In
wen versetzen wir uns gerne? Aus welcher Perspektive
schreiben wir gerne? In wessen Haut fühlen wir uns wohl?
S. I.: Wenn man im Team arbeitet, braucht man eine gute
Planung. Wie tief habt ihr den Plot geplant? Und wer ist der
bessere Planer von euch?
M. D.: Ich bin die leidenschaftliche Planerin! Eigentlich hätte ich
gern Kapitel für Kapitel in einem Storyboard zusammengestellt,
das heißt, den ganzen Plot von Anfang an vor mir gehabt, doch
dieses Vorgehen entspricht Petra gar nicht. So haben wir einen
Kompromiss gefunden und uns ein- bis zweimal pro Woche
getroffen und die kommenden drei, vier Kapitel geplant. Das
funktionierte für uns beide.
Planerin Mitra Devi, der Plan für Schockfrost im Detail und der
Plan von Petra Ivanov, ein leeres Blatt.
P. I.: Ich habe dann versucht, mich an diesen Plan zu halten, oft
ist es mir gelungen, manchmal habe ich es aber nicht geschafft,
die Figuren dorthin zu bewegen, wo sie Ende Kapitel sein
mussten. Dann kam das Umplanen...
S. I.: Habt ihr alles gemeinsam geschrieben oder hatte jeder
seine persönlichen Protagonisten? Gibt auch Schreibteams, bei
denen einer den Plot plant und recherchiert, überarbeitet, was
der andere schreibt …? Wie läuft es bei euch?
M. D.: Wir haben entschieden, wer gern welche Figur
übernähme und haben abwechselnd geschrieben. Petra hat mir
alle paar Tage ihr neues Kapitel geschickt, dieses habe ich nach
meinem Gutdünken überarbeitet, und sie hat dasselbe mit
meinen Texten gemacht. So entstand eine schöne Chronologie
beim Schreiben – und jedesmal wurden wir beide mit einer
Überraschung der anderen beschenkt! Natürlich hatten wir
vorher mehr oder weniger abgemacht, was in dem Kapitel
geschehen sollte. Doch die Umsetzung war dann eine
Entdeckung.
P. I.: Genau!
S. I.: Um gemeinsam zu schreiben, muss man sich sehr
vertrauen und man muss kritikfähig und kompromissfähig sein.
Wie habt ihr Vertrauen zueinandergefunden? Und Hand aufs
Herz, wer setzt sich bei Nichtübereinstimmung eher durch?
M. D.: Da wir schon vor "Schockfrost" als Herausgeberinnen
zusammengearbeitet haben und uns gegenseitig die
Manuskripte unserer eigenen Krimis zum gegenlesen geben,
wussten wir ziemlich gut, wie wir "ticken". Bei
Nichtübereinstimmungen haben wir so lang miteinander
diskutiert, bis wir eine Lösung fanden, hinter der wir beide
stehen konnten.
P. I.: Manchmal haben wir auch Außenstehende um ihre
Meinung gebeten, weil sie mehr Distanz zur Geschichte hatten.
S. I.: Wie weh tut es, wenn man am Ende einer Diskussion seine
eigene Idee aufgeben muss?
M. D.: Ganze Ideen aufgeben mussten wir nie. Es waren
einzelne Szenen oder sogar nur Sätze oder Worte. An einigen
hängt man und lässt sie nur widerwillig sausen, doch wenn die
Kollegin eine stichhaltige Begründung hat, warum dieses oder
jenes nicht passt, tut es dem Text gut, darauf einzugehen. Es ist
derselbe Prozess, wie er etwas später beim Lektorat stattfindet.
P. I.: Wer nicht damit umgehen kann oder will, sollte sich gar
nicht auf das Abenteuer gemeinsam schreiben einlassen. Man
muss loslassen können, dafür bekommt man auch viel zurück.
Ideen zum Beispiel, auf die man nie gekommen wäre!
S. I.: Petra, du hast in deinen Krimis immer ein wichtiges Thema
bearbeitet. Welches Thema liegt diesem Thriller zugrunde? Und
was musstest du dieses Mal vor dem Schreiben ausprobieren,
um es realistisch zu beschreiben?
P. I.: Die Grundfrage lautete für mich: Was darf die Psychiatrie?
Ich habe mich im Vorfeld in dieses Thema eingelesen und mit
Fachpersonen gesprochen. Rein praktisch musste ich aber ganz
andere Erfahrungen sammeln: Ich habe einen
Bogenschiesskurs gemacht.
S. I.: Mitra, wie habt ihr die Recherchearbeit untereinander
aufgeteilt? Und was musstet ihr erarbeiten?
M. D.: Petra hat die juristischen Hintergründe erarbeit. Also,
was gehört zum Alltag einer Psychiaterin, die Gerichtsgutachten
schreibt. Unter welchen Umständen ist eine FU (eine
fürsorgerische Unterbringung in eine Klinik) angesagt, wo
liegen die Grenzen, wie kann dagegen Rekurs eingelegt werden,
etc. Ich habe mich um die psychiatrischen Zustände, Diagnosen
und Behandlungen gekümmert, was mir entgegen kam, da ich
mehrere Jahre in einer Gärtnerei mit geschützten
Arbeitsplätzen für PatientInnen aus Psychiatrien
zusammengearbeitet und eine Affinität zu ihnen entwickelt
habe.
S. I.: Was möchtet ihr uns zu eurem gemeinsamen Thriller
verraten?
M. D.: Am liebsten nicht allzu viel, damit die interessierten
LeserInnen sich ohne vorherige Angaben ins Abenteuer
stürzen! Aber natürlich dies: Wie in den meisten Thrillern ist
vieles nicht so, wie es auf Anhieb scheint!
P. I.: Ich schweige lieber ...
S. I.: Welche Erfahrung habt ihr aus der Teamarbeit
mitgenommen? Was ratet ihr anderen Schriftstellern, die auf
die Idee kommen, ein gemeinsames Buch zu schreiben? Und
würdet ihr zum Wiederholungstäter werden?
M. D.: Es war eine sehr spezielle Erfahrung für mich, die ich
nicht missen möchte. Andere AutorInnen, die sich auf das
Experiment Zu-zweit-Schreiben einlassen, kann ich empfehlen,
eine gute Balance zu finden zwischen Ideen-Einbringen und
Zuhören. Ich könnte mir ein weiteres Projekt mit Petra
vorstellen, aber vorerst sind wir beide wieder mit unseren
eigenen Romanfiguren beschäftigt
P. I.: Ich kann mich hier nur wiederholen: Man muss loslassen
können, bekommt dafür aber viel zurück.
S. I.: Jedes neue Projekt bringt dich persönlich ein Stück weiter
… Neu für euch das Genre Thriller und neu die Partnerarbeit.
Was habt ihr persönlich mitgenommen?
M. D.: Das Genre Krimi, in dem wir seit vielen Jahren
veröffentlichen, und das Genre Thriller überschneiden sich,
gewisse Grundelemente sind bei beiden literarischen Formen
vorhanden, das war kein völliger Bruch. Aber die Partnerarbeit
war etwas grundsätzlich Anderes, als ich es bis jetzt gekannt
habe. Herausfordernd, anregend, nicht immer einfach, aber
immer spannend. Mir persönlich hat es eine Welt eröffnet, die
mir gezeigt hat, dass es verschiedene Arten gibt, ein Projekt
anzupacken. Und es funktioniert genau so!
P. I.: Mir hat die Zusammenarbeit zudem wieder gezeigt, dass
Geschichten Geschmacksache sind. Sicher, eine gewisse Qualität
muss vorhanden sein, aber es gibt so viele unterschiedliche
Arten, eine Geschichte zu erzählen, nicht nur, was den Plot
betrifft, ich denke auch an die Vertiefung eines Themas, an das
Tempo, an die Art und Weise, wie Informationen enthüllt
werden. Es gibt kein Richtig oder Falsch.
S. I.: Welche Rückmeldung hattet ihr vom Verlag, als ihr eure
Idee präsentiert habt und was hat das Lektorat zum Ergebnis
gesagt?
P. I.: Unsere Lektorin war besonders begeistert vom Schluss!
S. I.: Ich wünsche euch weiter viel Erfolg und bedanke mich für
das Interview.
Rezension: Schockfrost von Petra Ivanov und Mitra Devi
Rezension: Täuschung von Petra Ivanov
Zu den anderen Interviews
Literaturblog Sabine Ibing
Interview mit
Petra Ivanov und Mitra Devi
(von Sabine Ibing)